Seit einigen Tagen ist es “offiziell”: die ersten Belugawale sind aus ihren Winterquartieren nach Churchill zurückgekehrt. Alljährlich ziehen die weißen Wale in den Sommermonaten in den Churchill River, wo sie ihre Jungen bekommen.
Noch sieht man nur einzelne Tiere, in den nächsten Wochen werden sie den Bereich der Flussmündung in die Hudson Bay jedoch zu Tausenden bevölkern und sowohl Einheimische als auch Gäste verzücken.
Belugas sind die (Vor)Boten des Sommers, einer aufregenden Zeit hier im Norden Manitobas. Auf sich scheinbar ewig hinziehende Winter folgen wenige, intensive Frühlings- und Sommermonate.
Frühling und Sommer kommen in Churchill rasend schnell
Sobald der Schnee zum Großteil geschmolzen ist, geht alles rasend schnell und innerhalb kürzester Zeit kehren die Zugvögel zurück, bricht das Eis von Fluss und Meer auf, zeigen die Pflanzen erste Ansätze von Blättern und Blüten und kehren die Belugas zurück.
Gerade fühlt es sich eher nach Herbst an: der Wind pfeift, die Sonne ist nicht zu sehen und das Thermometer zeigt 3 Grad an. Zumindest sind es Plusgrade, denn mit Frost muss man eigentlich jederzeit rechnen.
Vor ein paar Tagen war es schon sommerlicher und das wurde ausgenutzt. Sobald die Temperaturen über 15 Grad klettern, sind die Leute in Sommerstimmung, ziehen ihre Shorts und Sandalen an und verbringen so viel Zeit wie möglich draussen.
Am besten lässt sich Churchill auf Wanderungen erkunden
Die Zeitspanne zwischen „zu kalt“ und „zu gefährlich“ ist Hochsaison für Wanderungen. In nur wenigen Wochen werden die Eisbären wieder hier sein – Ausflüge ohne Bärenschutz sind dann kaum noch möglich. Doch zu entdecken gibt es täglich Neues.
In diesem Jahr haben zunächst die Nachwehen des Jahrhundertblizzards im März den Frühlingsbeginn bestimmt. Die schmelzenden Schneemassen – gepaart mit ungewöhnlich hohen Wassermengen, die weiter südlich durch die Schleusen der Staudämme gelassen wurden – konnten weder vom Permafrostboden noch vom Churchill River, der noch zugefroren war, aufgenommen werden.
So bahnte sich das Wasser einen anderen Weg und kurzfristig war die Stadt – wieder einmal – im Ausnahmezustand. Mittlerweile ist der Fluss eisfrei und die Überschwemmung in Churchill ist überstanden.
Nach wie vor unter Wasser stehen die Gleise der Hudson Bay Railway, Gerüchten zufolge mehrere Meter tief. Seit über zwei Wochen kann der nördlichste Teil der Strecke Winnipeg-Churchill nicht mehr passiert werden. Dass der Zug im Frühjahr für ein paar Tage oder Wochen ausfällt ist soweit nicht untypisch, heuer dürften die Reparaturarbeiten aber um einiges länger dauern als sonst. Von offizieller Seite wird der Schaden als „katastrophal“ beschrieben.
Ganz schnell kann man im Norden Manitobas von der Außenwelt abgeschnitten sein
In solchen Situationen macht sich die relative Abgeschiedenheit von Orten wie Churchill bemerkbar. Ohne ankommende Züge müssen Lebensmittel sowie alle anderen Güter eingeflogen werden, denn Straßen hierher gibt es keine.
Das wiederum schlägt sich im Preis nieder, der im Norden ohnehin bis zu vier Mal so hoch ist wie in der Provinzhauptstadt Winnipeg. Für einige Tage waren die Supermarktregale fast leer, mittlerweile wurden sie wieder aufgefüllt.
Allerdings wurden Limits für Grundnahrungsmittel eingeführt, um Hamsterkäufe zu vermeiden. Neben den „Leiden“ der Einheimischen, zeitweise ohne Milch und Wein leben zu müssen, stellt der Ausfall des Zuges die Community vor grundsätzlichere Probleme.
Familien müssen ihre Sommerferien stornieren, besonders schwere Güter und Benzin werden bald knapp werden. Die Sommersaison steht unmittelbar bevor, die Lager der Restaurants und Bars sind halb leer und die Wiederaufnahme des Zugbetriebs wird nicht vor Wintereinbruch erwartet.
Einige Gäste mussten ihre Buchungen bereits stornieren; nicht allen ist es möglich, auf Flüge umzusteigen. Zusätzlich wird ein Teil der Saisonarbeitskräfte die Arbeit verlieren, bevor sie begonnen hat.
Die Stadt steht unter Schock und Stimmen nach einem Einschreiten der Regierung in Ottawa oder auch des Militärs werden laut. Nicht nur Churchill ist vom Zugausfall betroffen. In anderen Siedlungen entlang der Strecke, für die der Zug die einzige Transportmöglichkeit ist, musste das Rote Kreuz mit Hilfslieferungen einschreiten.
Wer eine Reise nach Churchill mit dem Zug geplant hat, sollte sich am besten rasch um Alternativen kümmern, denn trotz aller Schwierigkeiten stehen auch in Churchill im Jubiläumsjahr 2017 einige Highlights auf dem Programm.
Seit dem Ausfall der Bahnverbindung werden zusätzliche Flüge, zu teilweise günstigeren Konditionen, angeboten. Bis Thompson kommt man per Bahn, Bus oder Auto; von dort ist man in weniger als einer Flugstunde hier.
Noch mehr als sonst gilt es, selbst extra Lebensmittel mitzubringen, vor allem wenn man sich vegetarisch oder vegan ernährt.
Beim Bewältigen logistischer Probleme bekommt man dann auch einen besseren Eindruck vom alltäglichen Leben im Norden Kanadas und kann den subarktischen Sommer bestimmt umso mehr genießen.
Mehr Bilder aus dem Alltag in Churchill gibt es auf dem Instagram-Account der Autorin: www.instagram.com/claudia.borealis/