Amors Pfeile fliegen ziemlich weit, wenn es denn so sein soll. Das durfte auch Evelyn Mueller, damals noch Boellmann, erfahren, als sie sich vor einigen Jahren mit ihren Freundinnen zum Oktoberfest nach München aufmachte. Und was da passierte, das veränderte zwei Leben nachhaltig. Aber der Reihe nach, in unserer Auswanderergeschichte lassen wir die zwei Hauptpersonen in dieser liebenswürdigen Story zu Wort kommen. Es sind Evelyn und ihr -mittlerweile- Ehemann Mark. Eine Geschichte vom Auswandern.
Evelyn und Mark, unsere zwei Hauptdarsteller in der Auswanderergeschichte
Irgendwie steckt Evelyn das multinationale Gen im ganzen Körper, denn ihr Vater, ein waschechtes Rieser Gewächs aus Möttingen verliebte sich nicht in eine fesche Maid aus Bayrisch-Schwaben. Nein, sein Herz gehörte irgendwann fürs Leben einer Niederländerin. Verliebt, geheiratet und dann vier Kindern das Leben geschenkt, die jüngste war Tochter Evelyn. Sie wuchs behütet von der Familie in Möttingen auf, ging zur Schule, absolvierte eine Ausbildung zur Erzieherin und arbeitete, umgab sich mit tollen Freunden. Soweit so gut ……. .
Mark entstammt einer aus der Schweiz stammenden Familie, die im Jahr 1978 nach Kanada, genauer nach Ontario auswanderte, um dort im Herzen des County der Amish und Mennoniten eine Milchfarm zu kaufen. Dort in Kanada kamen die fünf Kinder der Familie Mueller zur Welt, auch Mark. Er absolvierte in Ontario seinen Schulweg und schloss eine Ausbildung als LKW-Mechaniker ab, um danach für ein Jahr in die Schweiz zu gehen, um dort zu arbeiten. Soweit so gut …… .
Amor ist ein guter Schütze, wenn es sein muss
Nun kommt Amors Pfeil ins Spiel, denn just am gleichen Tag beschlossen Evelyn und Mark jeweils mit ihren Freundinnen und Freunden nach München aufs Oktoberfest zu fahren. Was beide nicht wussten, ein Freund von Mark und eine Freundin von Evelyn kannten sich von einem Aufenthalt in Australien, so dass sich die Wege der Beiden und eben von Evi und Mark auf der Theresienwiese in München zum ersten Mal kreuzten.
Gleicher Tisch, Blicke, Komplimente fürs fesche Dirndl, eine zünftige Party im Bierzelt. Und dann traute sich Mark und er fragte nach der Telefonnummer. “Da war ich ganz frech”, erinnert sich Evelyn im Gespräch mit Faszination Kanada, “ich hab ihm erst einmal eine falsche Nummer gegeben.” Dann sollten sich eigentlich die Wege der Beiden trennen, denn es war Zeit, zum Bahnhof aufzubrechen und nach Hause zu fahren. Aber im Feiergetümmel haben beide den Zug verpasst, es ging wieder zurück aufs Oktoberfest und dort trafen sich beide wieder. Die Zuneigung stiegt und “dann habe ich Mark meine richtige Telefonnummer gegeben und ihm gebeichtet, dass er bisher eine falsche aufgeschrieben hatte.”
Erste Annäherung an einen kanadischen Schweizer
Unzählige SMS flogen zwischen Möttingen und der Schweiz hin und her. Langsam, aber beständig wuchs die Zuneigung beiderseits und auch gegenseitige Besuche ließen die Schmetterlinge im Bauch flattern. Irgendwann war man sich einig, Evelyn wird für sechs Monate nach Kanada kommen. Das war dann auch der Zeitpunkt, es jeweils den Eltern zu erzählen, was sich da Schönes angebahnt hat. Mark war dann irgendwann in Möttingen zu Besuch, Evelyns Eltern schwante schnell, “dia isch furt”, auf gut deutsch, die ist weg. Aber, so war Evis Vater am Beginn der Liebesgeschichte sicher, “einen Saubauer hättesch auch hier im Ries finden können”. Auch Marks Eltern waren am Anfang skeptisch, ob sich ein junges Mädchen aus Deutschland auf einer Farm in Ontario zurechtfinden würde. Aber sie willigten ein, dass Marks neue Liebe für sechs Monate auf die Farm kommt.
Wird Kanada eine Heimat für eine junge Mueller Family?
Nach einer zünftigen Good-Bye-Party im heimischen Ries hieß es Abschied nehmen, zumindest einmal für sechs Monate. Aufbruch ins Unbekannte, mit vielen Fragen. “Wird es mir gefallen, bin ich in der Familie willkommen, wie wird sich alles im Alltag entwickeln? Bald nach ihrer Ankunft wurde Evelyn klar, eine gemeinsame Zukunft für die Frischverliebten konnte es eigentlich nur in Kanada geben, denn Mark sollte die Farm mit der Ferkelzucht und Grünlandbewirtschaftung übernehmen, sein Bruder den Milchviehbetrieb. Es wurden schöne sechs Monate, die die Beziehung und alles vertieften. Marks Familie hieß Evi willkommen, etwas sehr schönes, wenn auch das Heimweh plagte. Das Auswandern wird eine Perspektive.
Amors Pfeil trifft endgültig und eine Entscheidung fürs Leben wird getroffen
Weihnachten 2008 ging es für Evelyn zurück in die Rieser Heimat, die Familie besuchen und schauen, was die Zukunft bringt. Drei Tage nach Weihnachten stand als verspäteter Gast Mark im Wohnzimmer der Eltern. “Alle haben es gewusst, dass er mir nachreist, außer natürlich ich”, erinnert sich Evelyn Mueller lächelnd im Rückblick. An Silvester war es dann soweit, kurz vor dem Rückflug nach Kanada, Evelyn betitelt es schon als Heimflug, machte ihr ihr geliebter Mark einen Heiratsantrag. “Ich wusste, das ich ja sagen würde, aber ich musste ihn drei Tage lang zappeln lassen, denn ich wusste, ein “JA” bedeutet, in Deutschland alles aufzugeben um in Kanada eine neue Heimat zu finden. Kurz vor dem Rückflug habe ich dann ja gesagt, was für eine Erleichterung für Mark.”
Am 16. November 2009 haben sich die Beiden im engsten Familien- und Farmkreis das standesamtliche Ja-Wort gegeben. Und wie es so auf einer Farm mit Tieren ist, zwischen der Zeremonie der Trauung und der rauschenden Party ging Mark in den Stall, um die Schweine zu füttern. Im August des darauffolgenden Jahres wurde dann nochmals gefeiert, in Deutschland, mit vielen Gästen, aus Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und aus Kanada. Es gab doppelt zu feiern, denn an diesem 21. August feierte Evelyns Vater auch seinen 60.Geburtstag. Kirche, Stadtführung und Party, Party, Party. Am Sonntag dann ein zweites Highlight, Weißwurstfrühstück mit Alphorn-Musik. Dann zurück ins zukünftige Familienleben in Kanada, der alten und neuen Heimat der Eheleute Mueller.
Aus dem Paar wird Familie
Die große Liebe zwischen Mark und Evelyn spiegelt sich in den kommenden Jahren auch im Familienzuwachs wider. Im Januar 2011 erblickte Stammhalter Benno das Licht der Welt. Am Canada-Day, dem 1. Juli 2012 wird Lorenz geboren. Im Jahr 2014 kommt am Geburtstag des Vaters (25. März) der kleine Max zur Welt und am 6. August 2015 erblickt Sohn Joseph auf der elterlichen Farm das Licht der Welt. Bei der Erzählung über die Geburt der vier Söhne muss Evelyn laut lachen. “Mein Schwager und ich schlossen, als ich 12 Jahre alt war, eine Wette ab. Sie lautete, dass ich einen Bauern heiraten und 12 Kinder haben werde. Nun, einen Bauern habe ich geheiratet und mit vier Kindern habe ich zumindest ein Drittel der gewetteten 12 Kinder geschafft.”
Das Farmleben der Auswanderin Evelyn Mueller
Neben dem anfänglichen und verständlichen Heimweh vermisste die junge Auswanderin vor allem das heimische Brot. Also versuchte sie sich am Selberbacken, aber die ersten Ergebnisse waren eher mau. Mark schmunzelnd: “Ich war sehr geduldig und leidensfähig nach den ersten Backversuchen. Das Brot war schon nach dem Backen hart, man musste viel kauen.” “Er hat immer gesagt, ja schmeckt gut”, ergänzt Evi mit einem Grinsen. Aber, sie hat sich nicht entmutigen lassen, immer neue, immer bessere Versuche gestartet. Das Angebot für die Familie ergänzt, insbesondere mit Laugengebäck, den Brezeln. Und heute? Die Backwaren sind so lecker, dass sie auf dem Farmersmarkt im Dorf viele Abnehmer fanden. Evelyn’s Bread und Pretzels waren gefragt. Heute backt die leidenschaftliche Bäckerin überwiegend nur noch für den Hausgebrauch, denn die vier Kinder und die Farm fordern sie mit Haut und Haaren.
Im Jahr 2012 haben Mark und seine Frau die Farm übernommen, sie bewirtschaften den Hof mit 600 Muttersauen und unzähligen Ferkeln, die mit einem Gewicht von 25 Kilogramm zu einem Mäster umziehen und dort auf Schlachtgewicht gebracht werden. Darüber hinaus sind viele Hektar Grünland zu bewirtschaften, das Futter für die Schweine wird selber angebaut. Was an Mais, Bohnen und Weizen nicht benötigt wird, wird verkauft. Zur Farm gehören auch Hühner, Pferde, ein Hund und eine Katze, etwas Wald und ein Riesengarten, in dem sich die Kinder so richtig austoben können, wenn sie nicht im Kindergarten und der Schule gefordert sind.
Evelyn hat für sich neue Herausforderungen gefunde. Nachdem ihre deutsche Ausbildung zur Erzieherin in Kanada nicht anerkannt wird, hat sie sich intensiv im Thema “Wildkräuter” weitergebildet und ihr Wissen vertieft. Sie bietet nun zu diesem Thema Kurse an. “Ich bin gespannt, wo mich dieses spannende Thema noch hinführen wird”, so Evelyn Mueller zu ihrer neuen beruflichen Perspektive.
Darüber hinaus ist die umtriebige, stets gut aufgelegte junge Frau maßgeblich an der sich anbahnenden Städtefreundschaft zwischen der baden-württembergischen Härtsfeldstadt Neresheim und der Heimatstadt Perth East in der Nähe von Kitchener beteiligt. Beide Gemeinderäte haben eine entsprechende Erklärung abgegeben und die Urkunde wird nun vom Bürgermeister aus Neresheim und von der Bürgermeisterin aus Perth East unterzeichnet. Vielleicht werden die Beziehungen so vertieft, mit Austauschprogrammen für die Jugend, für Gewerbe- und Sporttreibende und vielen mehr, dass in naher Zukunft aus der Freundschaft eine verbriefte Partnerschaft entsteht.
Can i please get a “Lomba” to wipe the table?
Mark und Evelyn und das macht sie auch im Gespräch so unglaublich sympathisch, pflegen die “Open Door”, die offenen Tür auf ihrer Farm. Und so kommen junge Familienmitglieder, oder Kinder von Freunden aus Deutschland, teilweise für längere Zeit auf die Farm, lernen Land und Leute und die englische Sprache kennen. Umgekehrt behalten die eigenen Jungs einen Bezug zur deutschen Sprache, auch wenn sich Mark und Evelyn wünschen, dass sie da etwas strikter wären. Und so kommen immer Lacher zustande, wenn etwa Joseph “Mom, where is my Unterhemd” und Lorenz “Can i please get a Lomba (Lappen) to wipe the table” frägt.
So fern und doch so nah – so nah und doch so fern
Den Bezug und Kontakt zur alten eigenen Heimat oder wie bei Mark, der in Kanada geboren wurde, zur elterlichen Heimat Schweiz zu halten, ist beiden wichtig. Bei Evelyn auch vor dem Hintergrund, dass die Eltern älter werden und es dem Vater vor einiger Zeit gesundheitlich nicht gut ging. “Ich weiss, dass beide gut bei meinen Geschwistern aufgehoben sind, aber man möchte in schwierigen Zeiten doch nah bei den Eltern sein, was aufgrund der Distanz zwischen Ontario und Bayern nicht so einfach ist. Schön ist, dass es mit den Messenger Diensten leicht ist, direkt und auch visuell in Kontakt zu sein”, sagt Evelyn, die auch in diesem Jahr sehr gerne nach Möttingen gereist wäre. Wenn da nicht dieses blöde Corona Virus aufgetaucht wäre, das sämtliche Reiseplanungen zunichte gemacht hat. So hoffen die Muellers nun wie so viele Menschen auf 2021, dass wieder gegenseitige Besuche und das Reisen im Allgemeinen möglich sein werden. Und wenn das Herz einmal schwer zu werden droht, dann denkt Evelyn Mueller an den einen Satz, den ihr ihre Mutter mit auf den Weg gegeben hat: “Mädle, lieber sehe ich Dich glücklich in 6500 Kilometer entfernt, als unglücklich im nächsten Dorf”. Auswandern als Glücksfall fürs Leben.
Faszination Kanada bedankt sich bei Evelyn und Mark, dass sie die Leser*innen an der Geschichte ihres Kennenlernen und der Auswanderung und die Erinnerungen an diesem spannenden und nachhaltig prägenden Lebensabschnitt teilhaben lassen. Wir werden die Beiden ebenso wie die Städtefreundschaft Neresheim – Perth East weiter begleiten.