Helen McNicoll – Sonniger September, 1913, 92 × 107,5 cm, Öl auf Leinwand
© Sammlung Pierre Lassonde. Foto: MNBAQ, Idra Labrie
KANADA UND DER IMPRESSIONISMUS
Noch bis zum 17. November 2019 zeigt die National Gallery of Canada in Zusammenarbeit
mit der Kunsthalle München Werke des kanadischen Impressionismus
In der Kunsthalle München wird erstmals in Europa eine Ausstellung mit Meisterwerken
des kanadischen Impressionismus vom späten 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert präsentiert.
Anhand von rund 120 teils noch nie öffentlich gezeigten Gemälden vor allem aus kanadischen Museen und privaten Sammlungen stellt die Ausstellung 36 Künstlerinnen und Künstler vor, die hierzulande nahezu unbekannt sind. Die Aussicht auf eine Ausbildung bei den Pariser Malerstars lockte viele von ihnen zunächst in die französische Hauptstadt. Einige
blieben in Europa, andere kehrten in ihre Heimat zurück, wo sie das kanadische Publikum
mit der impressionistischen Malerei bekannt machten. In Szenen des kanadischen Alltags
sowie vor allem in Landschaftsbildern fingen sie die einzigartigen Stimmungen ein, die im
Zusammenspiel von Natur, Licht und Klima des Nordens entstehen. Mit diesen Werken leisteten die KünstlerInnen nicht nur einen bedeutenden Beitrag zum weltweiten Phänomen des Impressionismus, sondern schufen gleichzeitig eine ganz eigene, unverwechselbare Kunst für ihre junge Nation.
Gibt es einen ›kanadischen‹ Impressionismus? Auf den Bildern begegnen uns violett
schimmernde kanadische Schneelandschaften mit Pferdeschlitten, eine Eisernte in zartem
Dunst, hölzerne Totempfähle und Bäume mit Eimern zur Gewinnung von Ahornsaft. Gleichzeitig sind jedoch auch Pariser Straßenszenen zu sehen, bretonische Wäscherinnen, Damen in Japanmode, lesende Kinder oder Reiter am marokkanischen Strand. Welche Kriterien würde man der Definition eines kanadischen Impressionismus zugrunde legen? Ist die Staatsbürgerschaft ausschlaggebend, der Geburts- oder der Wohnort der Künstler? Ein Bildmotiv aus Kanada, ein spezifischer Stil? Die Ausstellung beleuchtet anhand einer großen Vielfalt künstlerischer Positionen, inwiefern diese Fragen zu Lebzeiten der KünstlerInnen relevant waren und wie sie die Kunstgeschichte bis heute prägen.
1867 wurde aus britischen und ehemals französischen Kolonien der Bundesstaat Kanada gebildet. In dieser jungen Konföderation wurden Institutionen, an denen man sich zum Künstler ausbilden lassen konnte, gerade erst geschaffen. Initiativen, in Montreal und Toronto Kunstklassen zu etablieren, trugen nur langsam Früchte. Daher entschieden sich KanadierInnen, die eine Malerlaufbahn einschlagen wollten und die finanziellen Mittel für einen Auslandsaufenthalt aufbringen konnten, häufig für eine Ausbildung in Paris, dem Zentrum des internationalen Kunstgeschehens. An der altehrwürdigen École des Beaux-Arts sowie an den private Akademien Julian und Colarossi, die bereits früh Frauen zum Studium zuließen, unterrichteten damals gefeierte Künstler wie Jean-Léon Gérôme (1824 – 1904), William Bouguereau (1825 – 1905 oder Léon Bonnat (1833 – 1922).
Stand während des Akademie-Studiums vor allem die Wiedergabe der menschlichen Figur
im Vordergrund, so entdeckten die KünstlerInnen im Anschluss mehrheitlich die Landschaft
für sich. Am Beispiel von Malern wie William Blair Bruce (1859 – 1906) führt die Ausstellung
vor Augen, wie einer anfänglichen Orientierung an der sogenannten Schule von Barbizon,
deren Künstler sich seit den 1840er-Jahren im Wald von Fontainebleau der Freilichtmalerei
gewidmet hatten, eine Begeisterung für den Impressionismus folgt. Nur wenige Jahre nachdem Claude Monet (1840 – 1926) sich in Giverny niedergelassen hatte, gründete Bruce dort 1887 gemeinsam mit fünf anderen nordamerikanischen Kollegen eine Künstlerkolonie. Es entstanden Naturdarstellungen, die mit skizzenhaftem Duktus und kräftigen Farben den Wechsel der Jahreszeiten, die Veränderungen des Tageslichts oder die Spiegelungen auf dem Wasser festhielten. Nicht die Landschaft zu malen, sondern den Eindruck, den die Landschaft auslöst – dieses Credo der französischen Impressionisten ist auch in den sinnlichen Freilichtszenen der kanadischen KünstlerInnen wahrnehmbar, die in der französischen Provinz und den Küstenorten der Bretagne und der Normandie zahlreiche reizvolle Motive aufspürten. Dabei zeigen sie die Landschaft stets als kultivierte, vom Menschen angeeignete Natur, sei es als Lebensraum der Landbevölkerung oder als Freizeitraum der Bourgeoisie.
Jeweils eigene Ausstellungskapitel sind Darstellungen von Frauen und von Kindern in ihrer
Freizeit gewidmet. Solche Motive, die mit dem weiblich konnotierten häuslichen Bereich
verknüpft wurden, trugen zum künstlerischen Erfolg von Malerinnen wie Laura Muntz
(1860 – 1930) oder Helen McNicoll (1879 – 1915) bei. In einer Zeit, in der die Industrialisierung fortschritt und Metropolen stark wuchsen, schufen die MalerInnen zahlreiche idealisierte Gegenbilder des bäuerlichen Lebens oder einer glücklichen, naturverbundenen Kindheit auf dem Land. Der Impressionismus eröffnete neue Möglichkeiten für die Darstellung von Figure in der Landschaft, die auch verstärkt für Porträts oder Freizeitszenen im Freien genutzt wurden: An Bildtiteln wie Jugend und Sonnenlicht von Marc-Aurèle de Foy Suzor-Coté (1869 – 1937) zeigt sich die Gleichwertigkeit, die Licht und Atmosphäre nun neben der Figur einnehmen. Während das dargestellte Motiv immer mehr an Bedeutung verlor, wurde das Einfangen der Gesamtstimmung künstlerisches Ziel.
Einen weiteren Gegenimpuls zum beschleunigten, anonymisierten Großstadtleben um 1900 stellen Bilder weit entfernter Orte dar, die auf den zahlreichen Reisen kanadischer KünstlerInnen entstanden und denen ein eigener Raum in der Ausstellung gewidmet ist. Ein beliebtes Ziel war Venedig als »Tor des Orients«. James Wilson Morrice (1865 – 1924) erwarb sich mit seinen zarttonigen Ansichten der Lagunenstadt unter seinen Zeitgenossen den Ruf eines »Poeten der Landschaft«. Zudem wurden französische und britische Auslandsterritorien in Nordafrika oder der Karibik als Sehnsuchtsorte reiner Ursprünglichkeit und des friedlichen Einklangs von Mensch und Natur inszeniert. In einigen Gemälden manifestiert sich das westliche Konstrukt des »exotischen Anderen«: So setzt zum Beispiel Franklin Brownells (1857 – 1946) impressionistische Szenen von schwarze Frauen, die am karibischen Hafen von St. Kitts Handel treiben, einen deutlichen Kontrapunkt zur müßigen Häuslichkeit der weißen weiblichen Bourgeoisie. In der Heimat wurde zunehmend der Ruf nach einer genuin kanadischen Kunst laut, die zur Stiftung einer nationalen Identität beitragen sollte. Dennoch fiel es den in Europa ausgebildeten MalerInnen in ihrer Heimat schwer, sich unter den Sammlern Anerkennung zu verschaffen, da der Impressionismus sich mühsam gegen die Popularität der traditionelleren Barbizon-Maler und der Haager Schule behaupten musste. Zudem wurde eine künstlerische Infrastruktur, die kanadische Kunst unterstützte, gerade erst entwickelt. Was der Strömung zu größerer Akzeptanz verhalf, war vor allem die atmosphärische Darstellung kanadischer Landschaften in impressionistischer
Manier. Maurice Cullen (1866 – 1934) und Suzor-Coté wurden für ihre Winterlandschaften
berühmt. In zwei Kapiteln widmet sich die Ausstellung den kanadischen KünstlerInnen nach
ihrer Heimkehr. Sie schufen vor allem ländliche, zum Großteil in Quebec entstandene Szenen sowie Stadtlandschaften, in denen der Rauch der Fabrikschornsteine und elektrisches Licht von der Moderne künden. Gleichzeitig zeigt die Allgegenwart der Pferde-fuhrwerke den Wunsch, an einer im Wandel begriffenen ›alten‹ Welt festzuhalten. Neben dieser Spannung hat die kunstgeschichtliche Forschung der letzten Jahrzehnte auch den Blick darauf gelenkt, wie sehr in vermeintlich »neutralen« Landschaften politische Bedeutungen mitschwingen können.
Ob eine Darstellung beispielsweise Ontario oder Quebec zeigt, ob »Wildnis« oder kultivierte Natur, ist je nach Betrachter unterschiedlich mit Fragen von Zugehörigkeit und Identität verknüpft. Die Innovationen in der Landschafts-malerei, die Impressionisten wie Cullen, Morrice und SuzorCoté angestoßen hatten und die die kanadische Malerei bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägten, inspirierten in den 1910er-Jahren junge, in Toronto und Montreal tätige Künstler zu einem neuen Weg: Beeinflusst vom Post-Impressionismus schufen die Maler, die sich 1920 in Toronto zur Group of Seven sowie in Montreal zur Beaver Hall Group zusammenschlossen, ein neues Bild Kanadas. Ihre Werke bilden den Schluss des Ausstellungsparcours. Auf der einen Seite betrieben die Künstler der Group of Seven und ihre Unterstützer eine Mythisierung der kanadischen Landschaft im Sinne nationaler Identitätsstiftung: Sie malten eine wilde, nordische, unberührte Natur mit weiten und rauen Felslandschaften, mit rauschenden Flüssen und Seen, mit herbstlich bunt leuchtenden oder verschneiten Wäldern. Die Kunstgeschichte hat die Stilisierung dieser Landschaftsbilder zum Inbegriff kanadischer Kunst in den letzten Jahrzehnten jedoch neu bewertet, da die suggerierte Leere des Landes sowohl die indigene Bevölkerung als auch Bergbaubetriebe, Holzindustrie oder Eisenbahnschienen ausblendet. Auf der anderen Seite zeigen die Werke der Beaver Hall Group, der auch viele weibliche Mitglieder angehörten, ein breites Spektrum der künstlerischen Arbeit zu dieser Zeit. Mit ihrer großen Themenvielfalt leisteten diese MalerInnen einen bedeutenden Beitrag zur Entstehung einer modernen kanadischen Kunst.
Die Ausstellung beleuchtet das Erbe der kanadischen ImpressionistInnen und zeigt wie diese
KünstlerInnen ihre spezifische, höchst facettenreiche Art des Impressionismus ausprägten
und daraus einen eigenen künstlerischen Weg entwickelten. Für sie stand – anders als für die
französischen Kollegen – nicht die Rebellion gegen erstarrte akademische Strukturen oder das Aufbrechen der traditionellen Gattungshierarchie im Vordergrund. Die KünstlerInnen rangen um eine eigene Position: um ein Bild Kanadas zwischen dem Fremden und dem Eigenen, zwischen der künstlerischen Avantgarde und der Befreiung von europäischen Einflüssen, zwischen bäuerlicher Tradition und großstädtischer Modernität, zwischen wilder Natur und industriellem Fortschritt.
Informationen zur Ausstellung
In einem neuen Licht. Kanada und der Impressionismus (Canada and Impressionism: New
Horizons / Le Canada et l’impressionnissme. Nouveaux horizons) wird organisiert von der
National Gallery of Canada in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle München, der Fondation de L’Hermitage und dem Musée Fabre. Sie wird im Anschluss an die Präsentation in München in der Fondation de l’Hermitage in Lausanne (24.1.–24.5.2020), dem Musée Fabre in Montpellier (13.6.–27.9.2020) sowie in der National Gallery of Canada, Ottawa (ab November 2020), gezeigt.
»Es ist uns eine große Freude, diese Ausstellung in Zusammenarbeit mit der National Gallery of Canada realisieren zu können und gemeinsam mit den Partnermuseen in Lausanne und Montpellier den Kanadischen Impressionismus in Europa zu präsentieren«, sagt Roger Diederen, Direktor der Kunsthalle München. »Die National Gallery of Canada setzt sich dafür ein, die Wertschätzung und das Verständnis für kanadische Kunst im Ausland zu fördern«, sagte Dr. Sasha Suda, Direktorin und CEO der National Gallery of Canada. »Diese Ausstellung zeigt das Beste der künstlerischen Schaffens um die Jahrhundertwende und wird als erste dieser Art in Deutschland präsentiert. Wir danken der Kunsthalle München für die inspirierte und engagierte Zusammenarbeit. Wir hoffen, dass diese Ausstellung allen eine Freude bereiten wird.«
»Die Ausstellung wurde finanziert von einer engagierten Gruppe kanadischer Philanthropen,
deren Wissen und Leidenschaft für kanadische Kunst und Wissenschaft sehr inspirierend sind«, sagt Karen Colby-Stothart, CEO der National Gallery of Canada Foundation. Die Ausstellung wird präsentiert mit der außergewöhnlich großzügigen Unterstützung des Ausstellungspartners The A.K. Prakash-Foundation. Die Ausstellungstournee wird ermöglicht durch die National Gallery of Canada Foundation und ihre Spender, darunter die Pierre Lassonde Family Foundation, die Donald R. Sobey Family Foundation und die »Distinguished Patrons« der National Gallery of Canada, die sich der Unterstützung von innovativen Projekten widmen. Die National Gallery of Canada Foundation dankt auch auch dem Heffel Fine Art Auktionshaus, der Masters Gallery, Dr. Kanta Marwah und Michael J. Tims, C.M. und Renae N. Tims sowie vielen Einzelspendern, die mit Leidenschaft und Enthusiasmus dazu beigetragen haben, die Forschung zur kanadischen Kunstgeschichte in Kanada und im Ausland voranzutreiben.
ÖFFNUNGSZEITEN
täglich 10–20 Uhr | zur AfterworkKH am 21.8., 18.9. und 16.10.: 10–22 Uhr
Sonderöffnungszeiten für Schulklassen:
jeden Mittwoch 9–10 Uhr, Anmeldung erforderlich: kontakt@kunsthalle-muc.de
EINTRITTSPREISE
Regulär: € 12 | Ermäßigungen: Senioren (60+): € 11 | Schüler, Auszubildende, Studenten (< 30 Jahre) und Arbeitslose: € 6 | Kinder und Jugendliche (6–18 Jahre): € 1 | Kinder bis 6 Jahre: frei |
angemeldete Schulklassen: € 1 p.P. | Familienkarte für 2 Erwachsene und ihre (Enkel-)Kinder
(< 18 Jahre): € 22 | montags 50% Ermäßigung auf alle Eintrittspreise
FÜHRUNGEN
Führungen für Gruppen: Di–Sa, 10–20 Uhr; Anmeldung erforderlich:
kontakt@kunsthalle-muc.de
Öffentliche Führungen der VHS (max. 20 Pers.): Mo, Sa, So 11:30 Uhr; Di, Do, Fr 15:30 Uhr; Mi 18:30 Uhr, € 7 + Eintritt, Anmeldung nicht möglich, Tickets am Tag der Führung ab 10 Uhr erhältlich.
Kinderführungen (6–10 Jahre) in den Ferien: 31.7., 7.8., 14.8., 21.8., 28.8., 4.9. und 30.10.,
jeweils um 15 Uhr, € 5, Anmeldung: T +49 (0)89 / 22 44 12
BEGLEITPROGRAMM (AUSZUG)
Ein vielseitiges Programm erwartet die Besucher: Die Veranstaltungsreihe AfterworkKH sorgt jeden dritten Mittwoch im Monat für entspannten Kunstgenuss nach der Arbeit. Das Party-Format »Re-Act!« Harry Klein goes Kunsthalle verbindet Kunst mit Club. Konzerte begleiten die Ausstellung musikalisch, Vorträge mit interessanten Referenten beleuchten unterschied-liche Aspekte rund um das Thema der Ausstellung. Auch Kuratoren- und Kinderführungen werden angeboten.
KATALOG
Begleitend zur Ausstellung gibt die National Gallery of Canada in der Arnoldschen Verlagsgesellschaft einen umfangreichen Katalog mit ca. 300 Farbabbildungen heraus. Mit Beiträgen von Katerina Atanassova, Tobi Bruce, Anna Hudson, Laurier Lacroix, Lauren Lerner, Tracey Lock, Gerta Moray, Sandra Paikowsky und einem Vorwort von Adam Gopnik.
Informationen zur Kunsthalle München
Mit rund 350.000 Besuchern jährlich ist die Kunsthalle München eines der renommiertesten Ausstellungshäuser Deutschlands. Im Herzen der Münchner Innenstadt gelegen werden hier pro Jahr drei große Ausstellungen zu den unterschiedlichsten Themen gezeigt. Rund 1.200 m² Ausstellungsfläche sind mit modernster Museumstechnik ausgestattet und bieten Kunstwerken verschiedenster Gattungen eine würdige Plattform: ob Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie, Kunsthandwerk, Design oder Mode. Monografische Ausstellungen und thematische Projekte wechseln sich dabei ab, aber auch interdisziplinäre Ansätze finden im vielseitigen Programm der Kunsthalle München ihren Platz.