Das Adrenalin in der Luft ist beinahe greifbar. Man hat mich ins Allerheiligste der Grandstand Arena auf dem Stampedegelände gelassen, um ein Interview zu führen: den Backstagebereich der Rodeoreiter. Die fünfzehn oder zwanzig jungen Männer, die sich hier gerade vom Wettkampf ausruhen, sitzen auf staubigen Sofas und verfolgen gespannt auf einem Fernseher in der Ecke, wie sich die anderen da draußen schlagen. Trotz der Konkurrenz, die natürlich zwischen ihnen herrscht, ist die Stimmung kollegial. Überall liegen Sättel mit reichlich Patina und dreckverkrustetes Zubehör herum, ein Wolkenbruch hat die sandige Arena in ein Schlammbad verwandelt, in das die abgeworfenen Reiter mit Schmackes eintauchen. Einige der Männer haben sich auf dem Boden ausgestreckt und die Augen geschlossen. In einem kleinen Nebenraum sind ein Arzt und Physiotherapeuten damit beschäftigt, die Cowboys wieder für die nächste Runde fit zu machen. Ich bin die einzige Frau im Raum.
Samuel Cole Kelts ist auf einer Farm 50 Kilometer südlich von Calgary, aufgewachsen, schon sein Vater ritt auf Wettbewerben. Er selbst reitet Rodeo, seit er 16 ist. „It beats a real job!“, sagt er auf meine Frage, warum er sich denn freiwillig auf ein bockendes Pferd setzt und wieder und wieder abwerfen lässt. „Das ist echter Sport, Spannung, Adrenalin. Man muss richtig fit sein.“ Seit acht Jahren tritt er als Profi an und legt jedes Jahr etwa 100.000 Kilometer zwischen Nord-Alberta und Süd-Texas zurück. „Ich lerne viele Orte und neue Leute kennen.“ Und stimmt es, frage ich ihn, dass man als Rodeoreiter auch mehr Erfolg bei den Frauen hat? „Ja, schon.“ Breites Grinsen. Bei den Wettbewerben werden die Pferde ausgelost, erklärt mir Samuel dann, damit jeder Teilnehmer die gleiche Chance erhält. Und die Cowboys geben sich gegenseitig Tipps, wenn sie das Pferd kennen. „Junge Pferde sind schwieriger, da sie erst im Laufe der Zeit ihren eigenen Stil entwickeln. Bei den älteren weiß man, wie sie ticken.“ Oder vielmehr: bocken. Das berühmteste Rodeopferd der Calgary Stampede hieß übrigens Papa Smurf: “Er bockte, bis er 22 war.” In der Regel muss ein Rodeopferd nur etwa zehn Mal pro Jahr in die Arena, den Rest des Jahres dürfen sie auf der Koppel verbringen. „A pretty good lifestyle“, findet Samuel.
Dann muss er sich auf seinen nächsten Ritt vorbereiten – er wird später einen ersten und einen zweiten Platz belegt und über $15.000 gewonnen haben. Und ich mache mich auf zu den Ställen der Chuckwaggon Racer, wo ich Rick Fraser treffe. In seiner Familie reicht die Tradition sogar schon bis zum Großvater zurück. Rick selbst fährt seit 15 Jahren Planwagen-Rennen und war davor schon als Outrider dabei – sechs Mal siegreich, drei Mal hat er es als Fahrer ins Finale geschafft.
Chuckwaggon, erklärt mir Rick, das sind die Küchenwagen, die die Cowboys früher unterwegs mit Essen versorgten. Beim Rennen liegen daher, als Remineszenz, ein Fass und Zeltstangen im Planwagen, die nicht verloren werden dürfen. Und Outrider sind vier Reiter, die zusammen mit der Kutsche ein Team bilden. Beim Startsignal stehen sie noch neben ihren Pferden und müssen zunächst aufsteigen, während die Pferde nervös herumtänzeln und beinahe lossprinten. Dann müssen Kutsche und Reiter eine Acht um zwei Fässer drehen, die in der Arena aufgestellt wurden, bevor sie sich mit den anderen Teams ein Rennen im gestreckten Galopp einmal um den Parcours liefern. Jeder Wagen hat einen Sponsoren, die in einer Auktion für ihr gewünschtes Team bieten. Für eine Koryphäe wie Rick und sein Team kommen da leicht $100.000 und mehr zusammen.
Auf der Stampede 2011 verunglückte beim Chuckwaggon-Rennen, leider nicht zum ersten Mal, ein Pferd tödlich, weshalb es von Tierschützern immer wieder kritisiert wird. Befürworter halten dagegen, die Sicherheitsvorkehrungen seien so hoch wie nur möglich, aber man müsse bei jedem Sport Verletzungen einkalkulieren. Manche argumentieren auch, die Pferde seien nur aufgrund dieser zweiten Karriere überhaupt noch am Leben – die meisten wurden auf der Galopprennbahn ausgemustert und wären sonst zum Schlachter gekommen. Auch die Fahrer gehen ein erhebliches Risiko ein: Sie fahren das Rennen auf einem Kutschbock aus Holz sitzend (und wenn wenn es auf die Ziellinie zugeht, stehen sie meist) – ohne Anschnallgurt oder Airbag. Als ich später mein erstes Rennen sehe, bewundere ich ihren Mut.
Rick hat dazu eine klare Meinung: „Wenn Du Champion werden willst, musst Du Deine Pferde gut behandeln!“ Wenn er Neuzugänge von der Rennbahn bekommt, bereitet er sie zunächst einen Monat auf die neue Aufgabe vor. “Dabei zeigt sich, welche der Tiere diese Art von Rennen mögen. “Wenn es keine Freude daran hat, wird es auch nicht gut sein”, erklärt er. Rick hat selbst 40 Pferde, mit denen er in wechselnder Besetzung 52 Rennen pro Saison fährt (von Ende Mai bis Anfang September). Dazu kommen weitere zwei Monate Training, den Rest des Jahres dürfen sie auf der Koppel verbringen.
Das für ihn bewegendste Stampede Rennen war im Jahr 1982: Im Frühjahr war seine Mutter gestorben und im Juli trat Rick im Team mit seinem Vater an, er selbst als Outrider, sein Senior als Kutscher. Gemeinsam gewannen sie das Stampede Rennen, den größten und wichtigsten Wettkampf des Jahres.
Grundsätzlich aber gilt: Nach der Stampede ist vor der Stampede. Denn wie Rick mit Begeisterung in der Stimme feststellt: „This is where you wanna be – this is the World Cup!“ Für das Jubiläumsjahr 2012 gilt das sicherlich ganz besonders.
Reisen
2 Comments
“Behind the Scenes” beim Calgary Stampede – Staub und Adrenalin! http://t.co/kO5026nB #Kanada #Calgary Stampede
Yeeeha!100 Jahre Calgary Stampede! Alberta lässt es richtig krachen. Bei der ganzen Aufregung kann man schon mal die französische Version der Hymne vergessen, was umgehend zu lautstarker Kritik führte. Siehe auch Globe&Mail Beitrag unter:
http://www.theglobeandmail.com/news/news-video/video-calgary-stampede-english-only-anthem-raises-ire/article4405196/
Der Fehler wurde jedoch schnell für alle zufriedenstellend behoben. Calgary liebt seine frankophonen Einwohner eben. That’s Canada, eh?